Ausgangssituation
Die Situation in der Mongolei
Die Mongolei befindet sich seit 1990 in einem Übergangsprozess von einer russisch dominierten Planwirtschaft zu einer sozialen Marktwirtschaft mit zahlreichen strukturellen Schwierigkeiten. Die weitgehend russischen Fachkräfte ließen ihre mongolischen Negdel (Kolchose)-Mitglieder ohne eine fachliche und auf Selbstständigkeit vorbereitende Schulung zurück.
Das hieß für die Menschen, die – plötzlich aus der Kolchose entlassen – wieder zu mobilen Viehzüchtern wurden, dass sie sich auf tradiertes Wissen besinnen mussten, zu dem sie weitgehend den Zugang verloren hatten. Zum Beispiel mussten sie erst wieder lernen, wie wichtig die regelmäßigen Weidegänge für die Gesundheit der Herden war.
Dazu kommen die schwierigen klimatischen, geologischen und ökologischen Bedingungen: Trockengebiet/Halbwüste und extreme Kälte im Winter bis minus 40 Grad sind große Herausforderungen. Gleichzeitig zeigen sich die deutlich wahrnehmbaren Klimaveränderungen durch den weltweiten Klimawandel.
Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Nomadenfamilien, das über die Selbstversorgung mittels der Produkte der Viehzucht hinausgeht, ist äußerst gering. Das Jahreseinkommen der in den Dörfern lebenden Familien ist sogar noch geringer. Sie sind sehr arm; doch das würdevolle Auftreten der Mongolen, besonders der Frauen, lässt diese Armut oft vergessen. Besonders die westlich gelegenen Aimags sind Verlierer des politischen und wirtschaftlichen Globalisierungsprozesses.
Der Projektort
Der Projektort, der 5.200 qkm große Distrikt Khaliun mit insgesamt etwa 2000 Einwohnern, liegt im Westen der Mongolei in der Provinz Gobi-Altai-Aimag. Die Bevölkerungsdichte liegt bei 1,5 Einwohnern pro Quadratkilometer. Das Dorf Khaliun hat etwa 600 Einwohner und feierte 2019 sein 60-jähriges Bestehen.
Um die Entfernungen zu veranschaulichen:
Die Provinzhauptstadt Altai-City (direkt oberhalb der roten Markierung zu sehen) liegt zwar nur 100 km von der Gemeinde Khaliun entfernt. Doch das bedeutet drei Fahrstunden auf einer Piste durch unwegsames Gelände, Sandwüste und Gebirge.
Die Landeshauptstadt Ulaanbaatar liegt 1.121 km auf der schnellsten Straßenroute (laut Google Maps) entfernt.
In den Jahren 1952 bis 1959 wurden in der Mongolei Internatsschulen gegründet. Um diese kleinen Schulen siedelten sich Familien an und Dörfer entstanden.
Durch den abrupten Weggang der russischen Administratoren wurden die von der Kolchose bewirtschafteten Anbauflächen bis auf einen kleinen Teil sich selbst überlassen. So fiel eine wichtige Einnahmequelle weg. Und gleichzeitig drohte durch den Generationenwechsel das landwirtschaftliche Wissen zu verschwinden, welches teilweise die russischen Fachkräfte mitgebracht hatten. Zumeist gab es vorher in der Mongolei keine Landwirtschaft. Denn auch heute noch leben 80 % der Bevölkerung durch die Erzeugnisse der mobilen Viehzucht.
Die Arbeitslosigkeit ist in der ganzen Mongolei sehr groß, größer sogar als die Statistiken zeigen. Die mobile Viehzucht kann die Familien und ihre Nachkommen nicht mehr ausreichend ernähren. Das führt unweigerlich zur Landflucht, vor allem im vernachlässigten bevölkerungsarmen Westen der Mongolei, in dem sich unser Projektort befindet.
Diese Probleme – Armut, Fehlen von Ausbildungsangeboten für junge Mongolinnen und Mongolen und die gravierende Arbeitslosigkeit – haben uns veranlasst, 2011 das Projekt STEPPENKIND zu starten. In Kooperation mit dem Schulkomitee Khaliun (seit 2015 gemeinnützige NGO „Herz gewidmet dem Kind“ ) wurden gemeinsame Projekte ins Leben gerufen.
Sozioökonomische Dimension
Die Ernährungssituation hat sich seit Herbst 2016 (erste Ernte der Gemüse-Plantage) für ca. 2000 Menschen deutlich verbessert. Durch die Vergrößerung der Plantagen auf 10 Hektar wird der Ernteertrag gesteigert. Zusätzliche Arbeitsplätze erlauben weiteren Familien im Dorf zu bleiben.
Unser Projekt hat durch verschiedene Maßnahmen inzwischen 16 Arbeitsplätze geschaffen. Bei diesen Familienstrukturen profitiert etwa ein Drittel der Dorfbewohner davon.
Auffallend und sehr erfreulich ist der Effekt, der weit über die ökonomische Situation hinausgeht:
Eigenständigkeit, Initiative und sozialer Zusammenhalt der Menschen in Khaliun haben deutlich zugenommen. Das zeigte sich unter anderem in der sorgfältigen Renovierung des Kulturhauses, ausschließlich in Eigenarbeit, in der gemeinsamen Bewirtschaftung der Plantagen während der Erntezeit, wenn alle Hände gebraucht werden und darin, wie gemeinschaftlich mit Rückschlägen umgegangen wird. Neben all dem verstehen die Menschen in Khaliun trotz des sehr harten Alltags Feste zu feiern.