Zweite Reise 2013

Steppjacken für die Nomadenkinder

Das Wiedersehen mit den Kindern und LehrerInnen im Internat Khaliun hat uns sehr berührt. Hier eine ausführ­liche Darstellung unserer zweiten Reise 2013.

Unsere Aktion, den Nomadenkindern im Internat Khaliun im Gobi-​Altai-​Aimag 56 neue warme Anoraks zu bringen, ist dank der Hilfe aller Reiseteilnehmer erfolg­reich gewesen. 

Bei der Turkish Airline sind 30 kg Freigepäck kostenlos. Wir waren 10 Personen und teilten die Anoraks auf alle auf. Trotzdem hatten wir natürlich reichlich damit zu tun. Doch es hat sich gelohnt.

Die Kinder und die Rektorin, Frau Enkhtuya Battulga, haben sich für mongo­lische Verhältnisse (Mongolen zeigen ihre Freude nur verhalten) sehr gefreut. Besonders darüber, dass die Anoraks neu und nicht aus China sind und dass sie fast alle das „himmlische“ Blau haben, das die Mongolen so lieben.

Wieder waren wir betroffen, wie wichtig unser Besuch für Kinder und Lehrer zu sein scheint. Das lässt sich nicht gut beschreiben, ohne es erlebt zu haben.

Obwohl wir den Kindern fremd sind, verloren sie schnell ihre Befangenheit und gingen sehr natürlich zum Alltag über: Schulunterricht, Spielen, die kleinen und größeren Aufgaben erfüllen.

Dazu gehören das Säubern und Decken des Esstisches, das Austeilen der Essschalen und vor allem das Heranschleppen des Wassers aus dem mindestens ein bis zwei Kilometer entfernten Fluss. Der kleine Kanal, den Kinder und Lehrer vom Fluss abgezweigt haben, war nur spärlich gefüllt und ist vermutlich auch als Trinkwasserkanal ungeeignet. Er dient vor allem der Bewässerung der verschie­denen Anlagen, der drei Wäldchen und des Gewächshauses.

Mich hat noch eine Weile beschäftigt, wie im Grunde jeder Tropfen Wasser Krafteinsatz verlangt. Wasser ist in der ganzen Mongolei, besonders im Altai-​Gebiet, alles andere als selbst­ver­ständlich. Wir haben als Gäste am eigenen Leib gespürt, wie kostbar und unersetzbar Wasser ist.

Allen ist aufge­fallen, wie unsere „Steppenkinder“ gehen und sich bewegen: Klar und bestimmt, keine Schnörkel, keine Übertreibung, eben im rechten Maß.

Draußen in der Steppe mit diesen Witterungsbedingungen und dem einfachen mehrere Generationen umfas­senden Leben im Ger muss auch jede Bewegung angemessen sein. Kraftverschwendung kann sich niemand leisten.
Ich bin noch sehr in Gedanken bei den Kindern und besonders einige Gesichter tauchen immer wieder auf. Mir ist bewusst, wie wenig wir über sie wissen. Können wir das „Fremde“ je wirklich verstehen?

Gerade die Erweiterung des Projekts um das Berufstraining für Jugendliche und die dafür erfor­der­lichen Gespräche und Maßnahmen lassen uns das bewusst werden.

Deswegen stehe ich auch hinter dem Konzept des BMZ, dass wir als Fremde den Ideen unseres Projektpartners nur Anregungen und Unterstützung hinzu­fügen können, aus denen der Projektpartner, das Schulkomitee des Internats, sein Eigenes entwi­ckelt, es zu seiner Aufgabe werden lässt.

Das ist gelungen.

Die Rektorin und auch die anderen Mitglieder des Komitees wirken sehr engagiert und kreativ.

Eine der ersten Fragen, die ich stellen musste, lautete:
Sind Sie bereit, ehren­amtlich zu arbeiten?

Wäre die Antwort Nein gewesen, hätte das geplante Berufstraining leider mit uns als deutschem Träger nicht statt­finden können. Denn ohne den enormen ehren­amt­lichen Einsatz des Komitees hätte es keine Erfolgschance.

Die Rektorin als Vorsitzende hat ernst und zurück­haltend ihre Zustimmung gegeben. Das hatte für mich mehr Gehalt als eine überschwäng­liche Reaktion. Sie weiß, was auf sie zukommt.

So konnte viel besprochen und vorbe­reitet werden, vor allen Dingen die kompli­zierte „Projektvereinbarung“, die erst Gültigkeit erlangt, wenn das Projekt Ende Januar 2014 hoffentlich bewilligt wird.

Auch die Aktion Reis, Öl und Hefte für die Nomadenkinder wurde vom Komitee gut buchhal­te­risch bewältigt und abgerechnet.

Der zukünftige Werkstattraum muss aller­dings sehr bald von seiner Größe her mit den Maßen des Inventars abgeglichen werden. Sollte es da Probleme geben, muss das Komitee einen anderen Raum vorbe­reiten. Es gibt genügend Möglichkeiten auf dem Internatsgelände. Ich habe jedoch die Argumente für diesen Raum verstanden. Er ist ganz in das Internatsgebäude integriert und damit stärker vor Diebstahl gesichert als in einem entfern­teren Nebengebäude.

Frau Enkhtuya hat mir auch zugesi­chert, sich um die zwei weiteren KFZ-​Mechaniker zu kümmern. Ich vermute, das wird bei der geringen Bevölkerungsdichte im Sum Khaliun nicht einfach sein. Sie ist jedoch zuver­sichtlich, noch geeignete Personen aus dem Bezirk zu finden.

Auch die erfor­der­liche „Nachhaltigkeit“ des Berufstrainings wird vom Komitee noch kluge Überlegungen und Tatkraft verlangen, muss doch das Gehalt der Ausbilder während des Folgelehrgangs 2015 gesichert werden.

Die Rektorin Frau Enkhtuya kennt glück­li­cher­weise einen Abgeordneten (Sohn des ersten Rektors der Schule), der eventuell eine staat­liche Mithilfe für die Gehälter bewirken könnte. Das wäre eine gute Lösung. Wir werden sehen…

Zu meiner Freude hat mir der Botschaftssekretär in Ulanbator mehr oder weniger eine infor­melle Zusage gegeben, dass aus dem „Botschafts-​Topf“ der Bau eines Brunnens finan­ziert werden könnte, sobald das Werkstatt-​Projekt abgeschlossen ist.

Auch das würde nur über einen Antrag laufen, der zum Glück nicht so umfassend ist wie der jetzige.

Wie wir täglich gesehen haben und bereits der Vorgänger von Frau Enktuya angemahnt hat, brauchen Internat, Schule und Dorf unbedingt einen Brunnen.

Im Winter müssen Eisbrocken aus dem Fluss geschlagen und bei dieser extremen Kälte trans­por­tiert werden. Unvorstellbar!

Sichtbar ist die zuneh­mende Klimaveränderung. Zwar sind die Winter nun um ein paar Grad wärmer. Im vergan­genen Winter waren das ‑35 Grad Celsius. Doch dafür sind sie nasser, während die Sommer trockener und nieder­schlags­ärmer sind.

Das hat zur Folge, dass durch die dickere Schneedecke im Winter und größere Trockenheit im Sommer die Tiere noch weniger Futter finden als zuvor. Die Herden werden kleiner. Weniger als 500 Tiere bedeutet, die Versorgung der Nomadenfamilien ist nicht mehr gewähr­leistet. Die Armut wächst. Wir haben tatsächlich in dieser Verwaltungseinheit von 5.200 qkm nur wenige Herden beobachtet.

Was kann ich noch berichten?

Der junge begabte Kunstlehrer versteht es großartig, seine Schüler zu motivieren und anzuleiten. Wir konnten fanta­sie­volle Zeichnungen der Kinder bewundern.

Auch die anderen Lehrkräfte scheinen sehr engagiert zu sein. So hat sich der Mathematiklehrer zum Beispiel deutsche Mathebücher von uns gewünscht, um vergleichen zu können. Der Kunstlehrer wünscht sich deutsche Schnitzmesser. Die spärlich vorhan­denen Messer sollen nicht sehr stabil sein. Diese Wünsche können wir vermutlich im nächsten Jahr leicht erfüllen.

Ob wir aller­dings für alle Kinder Trainingshosen mitbringen können – ein Wunsch der Schulleiterin – ist noch offen.

Frauke und Katrin aus unserer Gruppe haben mit einer Schulklasse ein Spiel gebastelt und anschließend damit gespielt. Das hat Kinder und Lehrer begeistert.

Die Kinder haben zu unserem großen Vergnügen wieder eine beein­dru­ckende Gesangs‑, Instrumental- und Tanzvorstellung gegeben. Am Ende ihrer Vorstellung haben wir alle gemeinsam gesungen und getanzt. Da hatte ich das Gefühl, dass wir bereits zum Schulalltag gehören, so seltsam wir den Kindern auch vorkommen mögen.

Bericht von Sibylle May im September 2013